Diese Story ist für meinen Freund. Einfach lesen und auf sich wirken lassen. (:
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Manchmal gibt es Zeiten, in denen wir zu verzweifeln vermögen.
Tage, deren Dunkelheit uns in eine Tiefe mitreißen, in der unsere Existenz vollkommen unbedeutend erscheint.
Momente, die uns den Atem nehmen, unsere Gedanken rauben und nichts weiter als die Reinheit des Schmerzes zurücklassen, den wir erleiden mussten.
Sie war froh um jeden Tag, egal, ob er sich ebenfalls in die Reihe der herrschenden Monotonie einordnete. Egal ob er ebenfalls gespickt war voller Enttäuschung, Angst und dem Verlieren von der restlichen Hoffnung, der in ihr beiwohnte. Seitdem die Krankheit fast alles genommen, was überhaupt noch einen Wert für sie oder die anderen, die ihr entkommen waren, hatte, war sie dankbar für jeden Atemzug, der ihr geschenkt wurde. Für die winzige Flamme, die weiter in ihrem Herzen brannte und dazu zwang, nicht aufzugeben, ganz gleich was sie am nächsten Tag erwarten würde. Und vor allem für ihn – dass er noch immer bei ihr war und ihr den Mut gab, an den letzten Trümmern der verlorenen Welt festzuhalten.
Mit geschlossenen Augen lag sie auf dem Dach des Wolkenkratzers und ließ sich in der Stille um sie herum treiben. Hier oben fühlte, unter dem Kleid des tausendfarbenen Himmels fühlte sie sich unendlich frei. Hier oben war es einfach zu vergessen, sich fallen zu lassen und nicht darüber nachzudenken, wie es weitergehen soll.
Als sie seine Schritte vernahm, zeichnete sich ein dünnes Lächeln auf ihren Lippen ab. Sie blinzelte, öffnete die Augen und genoss einen Moment lang das kräftige rot des Himmels, während die Sonne hinter ihr am Horizont verschwand. „Hier bist du also.“, seufzte er. „Wir sollen doch nicht so weit voneinander entfernen – vor allem ohne dem jeweiligen anderen etwas zu sagen.“Sie richtete sich auf, streckte sich kurz und hob schließlich beschwichtigend die Schultern. „Tut mir Leid. Kommt nicht wieder vor.“ Ein kurzes Nicken, dann setzte er sich neben sie. Schläfrig lehnte sie sich gegen seine Schulter.
Ihr Blick glitt über die kleine Stadt. Noch bis vor wenigen Wochen hatte jeder hier ein normales Leben geführt. Gearbeitet, gelacht, die Süße des Daseins geschmeckt.
Dann kam der Virus, das unaufhaltsame Übel und veränderte damit alles. Machte die Betroffenen zu Bestien, die ihren Freunden die Haut vom Knochen nagten und ihrem eigenen Kind die Kehle durchbissen.
Jener Gedanke schüttelte sie. Aufgebracht atmete sie tief durch, strich sich eine kurze Haarsträhne aus dem Gesicht und versuchte, die vor ihren Augen zu verdrängen. „Ich hab‘ diese Stadt schon immer gehasst.“
Er lächelte schwach. „Ich weiß. Du wolltest hier schon immer weg.“
„Ja, ich… Manchmal wollte ich einfach den nächsten Zug nehmen, wegfahren, nie wieder kommen. Einfach alles hinter mir lassen. Und jetzt sitzen wir hier fest. Vielleicht für immer, zumindest was dann noch von uns übrig ist.“
„Red‘ nicht so einen Unsinn. Wir werden das hier durchstehen. Wir haben so oft darüber geredet, Witze darüber gemacht. Also, lass‘ jetzt bloß den Kopf nicht hängen.“
Er hatte Recht. Er hatte so verdammt Recht. Vorsichtig drückte sie seine Hand. „Werd‘ ich nicht.“
Einen Moment lang herrschte Stille zwischen den beiden. Dann erhob sie erneut ihre Stimme.
„Ich verspreche dir bei allem, was jetzt noch geblieben ist, dass ich den Kopf nicht hängen lassen werde, in Ordnung?“
Er wollte antworten, doch sie schüttelte nur den Kopf, um ihn zum Schweigen zu bringen.
„Und weißt du auch warum? Nicht, weil verfickt viel Angst habe drauf zu gehen und eins von diesen Monstern zu werden, sondern weil ich dich verdammt liebe. Weil ich dich nicht enttäuschen will.“
Sie beugte sich vor und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.
„Und weil ich diejenige sein werde, die diese Scheißviecher ablenken wird, wenn sie uns finden.“