[NEW] AND DEATH ROLLS THE DICE

Ich hinkte und presste meine Hand auf die Schusswunde auf meiner Schulter. Der Himmel hatte sich binnen weniger Minuten von einem glühenden Rot in ein verwaschenes Dunkelblau verwandelt, kein Mond am Himmel. Ich biss mir in meine Faust, um nicht laut aufzuschreien. Ich brauche einen Arzt, dachte ich, ich brauche einen verschissenen Arzt! Keuchend ließ ich mich an einer Hauswand herabsinken, ignorierte die Tatsache, dass sie hier noch irgendwo waren. Ihre grausamen Schreie verstummten irgendwo unter der bleiernden Skyline New Yorks. Ich starrte für einen kurzen Moment nach oben; Backsteinmauer und ein Raster aus kaputten Fenstern. Über mir hing eine Wäscheleine, die sich zu dem unregelmäßigen Rhythmus des Windes wiegte. Seit Tagen hatte es nicht geregnet, ich dachte an die vielen Eimer, die ich auf dem Dach meines Hauses aufgestellt hatte. Kein Tropfen Wasser. Ich stöhnte auf und legte mit schmerzverzerrter Miene den Kopf in den Nacken. Hinter der dünnen Wolkendecke blitzten irgendwo die Sterne auf. Es gab mir Hoffnung. Ich rappelte mich auf, musste weiter. „Pff, Hoffnung.“, brummte ich und spuckte das Wort wie Dreck aus. Mit schnellen Schritten trat ich aus der Gasse heraus, sah nach links, sah nach rechts. In meinem Hosenbund spürte ich das kalte Metall meiner Pistole.

Die Nacht war rabenschwarz. Ich verfluchte mich selbst dafür, dass ich so getrödelt hatte. Wenn ich mich nicht beeilen, kriegen die mich noch., dachte ich und schwankte ein bisschen, aufgrund der Tatsache, dass mich meine Beine kaum noch hielten. Unwillkürlich musste ich an die Anderen denken; Melody, Evan, Parker und Lois. Die Bilder von jener Nacht blitzten in meinem Kopf auf, als wäre es gestern gewesen. Wir fünf auf der verlassenen Farm, nachts – ich hatte es kaum mehr ausgehalten – schlich mich weg. Denn erst nach drei Wochen war mir aufgefallen, wie verrückt sie geworden waren. Sie hatten nicht mehr klar denken können.
Ich wischte mir mit meinem Handrücken die Tränen weg und atmete einmal tief durch. Was jetzt? Wohin? Wie weit würde ich es schaffen? Verletzt? Plötzlich brachen all jene bitteren Tatsachen über mich herein und ließen mein Herz ganz schwer werden. „Verflucht nochmal.“, zischte ich, verstärkte den Druck auf meine Schulter, als ich in der Ferne quietschende Reifen vernahm, und dann, einen Augenblick später, in dem ich verzweifelt versuchte, davonzuhinken, in den Schatten der Gasse, kam der verbeulte Pickup neben mir zum Stehen. Dieser Bruchteil einer Sekunde blieb mir, um meine Pistole aus meiner Hose zu zerren. Die Tür ging auf und eine Rothaarige, kaum älter als ich, zielte bereits auf mich. Hoffnungslos ließ ich meine Arme sinken, die Tränen kamen wieder hoch. Konnte es noch schlimmer werden? Dass die Scheißhunde Autos fahren konnten, war mir allerdings neu. „Du...“, begann ich mit zittriger Stimme, nicht allzu laut, „...du bist eine Überlebende.“

Als ich die Kleine sah, riss ich erschrocken die Augen auf. Das ist unmöglich... Es erschien mir so unwirklich – ein kleines Mädchen inmitten einer gottverschissenen Apokalypse. Es war wie ein Wunder; die Kleine wirkte durch und durch quicklebendig. Ich zwang mich zu einem Lächeln, um einen nicht ganz so heruntergekommenen Eindruck zu machen. Die Ironie ließ mein Grinsen breiter werden. „Ich bin Maggie.“ Noch immer konnte ich mich nicht zusammenreißen, die Scheinwerfer des Wagens brannten sich in meinen geschundenen Körper. Ich sah beiläufig auf meine Schulter hinab, dann schnaufte ich. „Nein. Nein, das ist eine Schusswunde. Bin vorhin an der Vierzigsten in eine kleine Schießerei geraten. Da scheint noch der ein oder andere Überlebende zu sein, obwohl ich hier seit Tagen niemanden zu Gesicht bekommen habe. Naja. Einer von denen hat mich getroffen, bin gerannt so weit ich konnte. Aber keine Sorge, ich bin zu 100% nicht infiziert. Aber ich schätze ich brauche einen Arzt oder Medikamente.“ Unschlüssig hielt ich inne. Was jetzt? Würden sie mir High Five geben und mich freudestrahlend bei ihnen aufnehmen? Wohl kaum.

Ich biss in den Autositz, um nicht zu schreien. Ich wusste nicht was mehr wehtat, der Schuss selbst oder dieses entsetzliche Brennen. In meinen Ohren rauschte es, für einen kurzen Moment verschwamm alles um mich herum. Ich brauche Schlaf, stellte ich leicht grinsend fest. Emily sah uns neugierig vom Rücksitz zu und wirkte etwas erschrocken, als sie sah, wie ich reagierte. Sie lehnte ihren kleinen Kopf gegen die Scheibe und ich konnte sehen, wie ihre Augenlider langsam zufielen. Ich musterte Chelsea von Nahem, während sie an meiner Schulter herumfummelte. Sie war hübsch. Wir sind uns ähnlich, in jeder Hinsicht, schoss es mir durch den Kopf.
„Das weiß ich ehrlich gesagt auch nicht. Anfangs fand ich's noch lustig, war wirklich leichtsinnig. Nach den ersten zwei, drei Angriffen war es dann vorbei mit dem Hochmut und ich habe mir eine dauerhafte Bleibe gesucht. Das hat dann 17 Tage gehalten, ehe sie mich aufgespürt haben. Habe nie daran gedacht, aus der Stadt zu gehen. Die Viecher müssen ja irgendwann abhauen, wenn's hier nichts mehr gibt. Dachte ich. Irgendwann traf ich eine Gruppe von Überlebenden. Himmel, ich sag dir, die waren vielleicht seltsam. Anfangs wusste ich natürlich nicht anders, ich brauchte ja jemanden...aber die waren völlig bekloppt. Sind sich irgendwann selbst an die Gurgel gegangen und wollten die Köter fangen und...untersuchen. Da habe ich dann nicht mehr mitgemacht und bin abgehauen. Soviel zu mir. Wie war's bei euch?“

Meine Schulter war taub, doch meine Sinne geschärft. Plötzlich lag nichts mehr von dieser Leichtigkeit der vorangegangenen Unterhaltung in der Luft. Ich presste mich in den Sitz und starrte verbissen aus dem Fenster, die Pistole ruhte in meiner Hand. Denn die Sonne war untergegangen.
„Gut. Die Frage ist nur, ob wir dort bleiben oder ob wir dort nur stoppen und uns Vorräte besorgen.“, meinte ich irgendwann, nachdem Chelsea den Motor angelassen und uns aus der Gasse manövriert hatte. Ich konnte nicht aufhören, immer wieder auf den Rücksitz zu sehen, mich zu vergewissern, dass das Kind noch da war. „In Supermärkten gibt es meist auch große Kühlhallen oder -Räume. Die sind immer sehr fest abgeriegelt, Stahltüren und so. Die zahlreichen Stromausfälle werden der Kälte den Rest gegeben haben. Vielleicht können wir dort übernachten. Schätze, wir brauchen alle etwas Schlaf.“ Innerlich lobte ich mich selbst für meine Idee, dennoch war ich nicht in der Lage, zur Ruhe zur kommen. Der Pickup glitt durch das Schwarz der Nacht – dem, was mir am meisten Angst einjagte.